Der Besuch einer Galerie gleicht einer Reise. Reisen nach Lust und Laune. Den Weg, die Richtung, den Kurs bestimmen wir, das Publikum. Der Gang von hier nach da, von Objekt zu Objekt, von Bild zu Bild entdeckt und erkundet halb Vertrautes und bisher Unbekanntes.
Der Schweizer Maler Dave Bopp, Jahrgang 1988, er lebt und arbeitet heute in Berlin, schickt uns schon vom Titel seiner aktuellen Ausstellung bei Mark Müller her ganz weit weg und führt uns gleichzeitig ganz nah an sich heran – «when you left me, I left earth/ als du mich verliesst, verliess ich die Erde».
Beziehungskrisen berühren immer. Vor allem, wenn offen ist, wer, wen, aus welchem Grund verlässt. Beim Ausstellungstitel handelt es sich um ein Zitat des MegaSuperhelden Doctor Manhattan aus der 1980er-Jahre-Comic-Serie Watchmen. 2008 konnte auch im Kinofilm verfolgt werden, wie er von seiner Lebensgefährtin getrennt, auf die grosse Reise geht. Er teleportiert sich im Yogi-Schneider-Sitz von einer postapokalyptischen Erde auf den Mars, um dort mit einem gewaltigen Zeitmessgerät aus Marsgestein sein neues Reich zu gründen. Ein Shangri-La-Update im Sience-Ficion-Format der Zeit.
«When you left me» ist seit 2018 neben zahlreichen Ausstellungsbeteiligungen die dritte Einzelausstellung des Künstlers in der Hafnerstrasse. Kontinuitäten und seine Weiterentwicklung fallen auf. Er bleibt seinem Medium, Acrylharzlacke auf Aluminiumverbundplatten, treu. Auch die ausladenden Formate finden wir damals wie heute wieder. Gravitätische Bildgrössen von zweieinhalb Mal vier Metern reichen an das Format frühmoderner Historienbilder und U.S.-amerikanischer Farbfeldmalerei heran. Sie wollen beachtet werden und üben darüber hinaus einen unwiderstehlichen Sog auf ihre Betrachtenden aus.
Wo sich der Künstler treu bleibt, Material und Format seiner Bilder, haben sich seine Formgebungen in den letzten vier Jahren deutlich verändert. Unruhige All-OverStrukturen, konkrete, nichtfigurativ-seriell aufgebaute Bildräume, in denen ein Kreis nicht mehr als ein Kreis bedeutete, bevor man ihn als Mond deuten sollte, haben sich in seinen neueren Arbeiten zu Figuren verdichtet, die an abstrakte Landschaften erinnern, an extraterrestrische Unorte auf weit entfernten Sternen und Planeten von eigenem exotischem Reiz zwischen schmeichelnder Anziehung und abstossender Unwirtlichkeit. Die Kreisfigur ist das deutlichste Zeichen dafür. Wir assoziieren unwillkürlich interplanetare Konstellationen, den Bildraum als die Oberfläche eines fernen Himmelsgestirns und dessen Monde.
Gleichsam als Referenz an diese interplanetarische Bildwelt empfängt uns im Eingang der Galerie, die Arbeit hinter Glas «Untitled #24-01», 2024. Formal wie inhaltlich ein Hinweis auf das Kommende. Denn der glatt-glänzende Bildträger korrespondiert, wenn auch im Auftrag anspruchsvoll, wie geschaffen, mit Bopps bevorzugtem Farbmedium Lack.
Dazu erinnert «Untitled #24-01» inhaltlich in seinem horizontalen Farbaufbau von schwarz zu grau, gelb, magenta und orange trotz des kleinen Formats an zerstörerische Naturgewalten wie Erdverschiebungen und Lavaströme und weist auf die vergleichsweise befriedeten post-apokalyptischen Traumlandschaften der eiden folgenden Räume voraus.
Das gewaltige Querformat, 240 x 400 cm, «Dirty Wish», 2024, war bereits vom Eingang aus zu sehen; seine Wucht war bereits von dort zu spüren. Nun sind wir, in den grossen Galerieraum getreten, der Magie seines Überwältigungsunternehmens ausgeliefert, fasziniert verstrickt oder vom Monströsen des Bildes überfordert. Dazwischen gibt es bei Bopps Malerei wenig Haltungsspielraum für die Betrachtenden.
Scharfkantige Linien grenzen wogende Farbflächen gegeneinander ab, tiefschwarzblaue Farbwellen fliessen in ein schlierenreiches Grün, das nach oben in einer scharfen Kante das untere Drittel des rötlich-dunkelbraunen Kreises ab- schneidet, den wir so als einen Mond lesen, der vor den pastellfarbenen Lasuren eines erlösungsverheissenden Himmels als Bedrohung erscheint. Gehen von seiner Gravität die magmatischen Farbverwerfungen in den voneinander abgesetzten Farbfeldern darunter aus? Die klaffenden hellen Spalten in der unteren Mitte des Bildes?
Wir können davon ausgehen. Denn der Mond steht seit der Antike einerseits für die Zyklen und Wandlungen der Natur, ihre chthonischen und transformatorischen Kräfte und andererseits beeinflusst er Charaktereigenschaften und Begabungen der Menschen. Neben Astrologen, Alchemisten, Seeleuten und Nachtarbeitern wie Bäcker oder Nachtwächter stehen vor allem schöpferische Menschen, Schriftsteller, Schauspieler und eben auch Maler im Zeichen des Mondes.
Der Mond zeichnet im Bild «Dirty Wish» für die Oberflächenverwerfungen verantwortlich. Symbolisch steht er damit an der Position der Schöpfungsmacht und damit für den Künstler selbst. Auf der realen Ebene gestaltet er den Bildraum. Mond, Künstler und ihr magmatisches, respektive malerisches Material erweisen sich als Komplizen.
Dave Bopps Farbmaterial Lack fügt dieser Komplizenschaft eine klandestine Bedeutungsebene hinzu. Lacke gehören zu den ältesten und dauerhaftesten Bindemitteln von Pigmenten der Menschheitsgeschichte. Dennoch spielen sie abgesehen von Tags und Graffiti in der Kunst der Moderne nur eine marginale Rolle. In der Kunst werden sie in der Regel wie in der Industrie bei Schutzbeschichtungen wie Stahlträgern oder Autokarosserien eingesetzt, um glatte, glänzende Oberflächen zu erzielen. Die Handschrift der Künstlerin, des Künstlers ist dabei nicht zu erkennen. Es gibt wenige Ausnahmen wie die Schüttbilder der Performerin und Künstlerin Lynda Benglis oder die Lackskins des Schweizer Konzeptkünstlers André Tompkins, bei denen Bildträger, in der Regel Papier, farbige Lackschlieren auf einer Wasseroberfläche abnehmen, um abstrakte, surreale Gebilde sichtbar zu machen.
Dave Bopps Arbeiten bewegen sich in anderen Dimensionen. Sie stehen produktions- und rezeptionsästhetisch den Lackskins und Schüttbildern nahe. Das Fliessverhalten des Lacks, der in der Horizontale, also auf dem Boden oder bei kleineren Formaten auf einem Tisch geschüttet oder gesprüht werden muss, ist nur bedingt kontrollierbar. Seine Verarbeitung, der schlierenhafte Übergang bewegt sich zwischen Zufall und Kontrolle, eindrücklich bei den kleineren Formaten wie «Gateway», 2024, in dem er in einzelnen Farbflächen eine aufwändige Marmorierungstechnik einsetzt.
Im Absetzen der Farbflächen kommt der Faktor Kontrolle in Bopps Bildproduktion zum Tragen. Im Grossformat «Intrusion», 2024, an der Stirnwand des Hauptraums werden allein sechs deutlich voneinander abgesetzte Farbflächen sichtbar. Ohne Übergänge setzen scharfe Kanten Grenzen. Sie isolieren die braun-anthrazit-farbige Fläche links von der smaragdgrün schillernden daneben und der als Himmel gelesenen Fläche in der Mitte oben. Der markante Gegensatz von Farbfeld und Grenze, Aleatorik und Kontrolle erreicht der Künstler durch das Abkleben bestimmter Farbfelder mittels Computer und einem Plotter hergestellten Folien. So kann er das Bild Schicht um Schicht kontrolliert aufbauen. Er kann den Umriss einer Form exakt bestimmen, deren Binnenstruktur jedoch nur bedingt, indem er sich für bestimmte Farbwerte entscheidet, deren Verhalten zueinander jedoch weitgehend zufällig bleibt.
Auch in «Instrusion» werden wir mit Irritationen konfrontiert. Während in der Geologie «Intrusion» das Eindringen von Magma zwischen erstarrtem Gestein bezeichnet, meint der Begriff in der Psychologie das Triggern traumatischer Erlebnisse durch bestimmte Schlüsselreize. Beide Vorgänge werden in Bopps Bild aufgerufen. Gleichermassen für das flüssige Gestein, wie das Trauma steht die diagonale grüne Fläche im Zentrum des Bildes. Sie ragt wie ein gewaltiger Felsen zwischen den Farbmassen rechts und links auf einen sandigen Weg, den wir in unserer Imagination unwillkürlich betreten. Darüber setzt der scharf abgesetzte Kreis einen markanten Akzent. Wird er von den Farbformationen, Farbklüften geschluckt? Oder schiebt er sich dem besorgten Wanderer im Bild zwischen die Felsen bedrohlich entgegen?
Damit schenkt uns die Malerei Souveränität. Bleiben wir Betrachtenden Herrin im Haus, können wir uns für eine der beiden Varianten entscheiden. Ein, dem Künstler sei Dank, befreiendes Gefühl!
Max Glauner