«treibende Eisberge mit dem Geschmack von Antimaterie verrückter Physik». So beschreibt die libanesische Lyrikerin, Malerin und Denkerin Etel Adnan den irdischen Status-Quo im Gedichtzyklus Ein Trauermarsch für den erstenKosmonauten (1968), den sie dem sowjetischen Militärpiloten Juri Gagarin, dem ersten Menschen im All, ein Jahr nach dessen Tod 1968 widmete. Sieben Jahre zuvor hatte Gagarin die Welt in 108 Minuten umrundet und damit nicht nur für eine politische Sensation sondern auch für eine bahnbrechende Erweiterung unseresHorizonts gesorgt: Die grenzenlosen Möglichkeiten, die das Weltall bot, warenendlich zum Greifen nah. Doch auch der Blick auf die Welt veränderte sich, nun da unser blauer Planet aus einer gänzlich neuen Perspektive erfasst werden konnte.«Ich sah zum ersten Mal die Kugelgestalt der Erde», berichtete Gagarin später. DieReise des Kosmonauten brachte eine umfassende Expansion unsererWahrnehmung mit sich und eröffnete neue Sphären jenseits des Vertrauten undVorstellbaren. Genau dorthin führen uns auch die Werke des Schweizer KünstlersDave Bopp.Dave Bopps tiefgehendes Interesse an dem, was sich ausserhalb desWahrnehmungsspektrums befindet, zeigt sich zunächst anhand von Form undFarbe. Bezeichnend dafür sind die auffälligen Maltechniken und die Leuchtkraft derFarbflächen, die auf etwas andeuten, was sich jenseits unserer sichtbaren Welt abzuspielen scheint. Bopps grossformatige Arbeiten auf Aluminiumverbundplatten,beispielsweise die beiden ausgestellten Werke Astral Beast N°3 (2020) und Debris(2020), veranschaulichen, wie die individuellen Strukturen zusammenkommen und den gesamten Bildträger einnehmen. Aus der Nähe heben sich die Formen hingegen buchstäblich voneinander ab, sodass sich die Vorgehensweise desKünstlers erahnen lässt. Was von Weitem als glatte Fläche wahrgenommen werden könnte, zeigt sich beim Herantreten als fast schon reliefartige Farbtopografie.Mittels Schablonen bearbeitet der Künstler den Träger, sodass die unterschiedlichen Flächen und Farbschichten deutlich erkennbar bleiben. DieseÜberlagerungen sorgen für eine geradezu taktile Erfahrung, die sich nur über einen sich langsam vortastenden Blick nachvollziehen lässt.Während die einzelnen Formen die gezielte Einflussnahme und Regie des Künstlers erlauben, ist der Umgang mit den verwendeten Lackfarben offener, da Bopp über die Art und Weise des Farbauftrags bewusst die dem Material innewohnendenDynamiken und Potentiale für sich arbeiten lässt. So scheint der Prozess stets zwischen vorsätzlichem Kontrollverlust und aktiver Intervention zu schwanken.Mittels einer Art Samplingprozess geht Bopp am Computer in den fotografisch dokumentierten Zwischenzuständen seiner Werke auf die Suche nach Formdetailsund Ausschnitten, die den Ausgangspunkt für die nächste Schablone bilden. VieleFormen entspringen auf diese Weise sich selbst, doch sie operieren in diesen neuzugewiesenen Kontexten jeweils eigenständig. Sie verweisen auf ein «Ausserhalb»,sowohl im Sinne ihres Ursprungs in Bopps Bilderkosmos, als auch auf ein«Ausserhalb» dieses vermeintlich vorgegebenen Rahmens, der frei aus den eigenen Assoziationen der Betrachtenden zu schöpfen sucht.Ein grundlegender Aspekt in Bopps künstlerischer Praxis liegt nicht zuletzt in diesen offenen Verweisen, die zwischen dem Sichtbaren und Unsichtbaren oszillieren.Obwohl die Anfänge vieler Arbeiten aus einer konkreten Bildidee und klarenVorstellung des Künstlers hervorgehen, lösen sich diese im Bearbeitungsprozess,durch die Übermalungen und Schichtungen mehr und mehr ab, verselbstständigen sich und geben schlussendlich den Raum für neue Assoziationen frei. Die drei Werke Plutonic Dream (2020), Boulder (2019) und Mock Suns (2020)veranschaulichen – gerade in ihrer Hängung nebeneinander – die Bandbreite der formalen Herangehensweisen und ihrer unterschiedlichen Wirkung. Darüber hinausstossen einzelne Elemente und Strukturen innerhalb der Bilder, wie auch die teilweise aussagekräftigen Werktitel, eine bestimmte Denkrichtung an, allerdings fern vom Anspruch diese gänzlich auszuformulieren oder je abschliessen zu wollen.Der Künstler bezeichnet die Titel auch als eine Art «Trigger, der den Prozess desSchauens, Interpretierens und Projizierens aktiviert.» Doch in jenem Moment, indem das Werk Boulder tatsächlich seine Felsfragmente zu erkennen gibt, scheint esso, als würden sie sich dem Blick wieder entziehen. Die amorphen Gestalten wandeln sich, sie kommen in Bewegung und bringen damit die labile Ordnung derVerweise ins Wanken – es zeigen sich die unerschöpflichen Möglichkeiten der subjektiven Bildwahrnehmung und der Fantasie.Der Künstler versteht sich so auch als eine Art moderierende Instanz seinesmalerischen Experimentierfeldes, das auch kleinere Arbeiten auf Papier umfasst,deren Oberflächen marmoriert oder mit Farbresten bearbeitet werden. Auch hier offenbart sich ein technischer sowie inhaltlicher Balanceakt, ein komplexes Spiel zwischen Erkennen und Entziehen. Dieses Flimmern birgt jeweils die Möglichkeit eines Bildes: ein «Phänotyp», der aus einem nahezu grenzenlosen Pool vonMöglichkeiten schöpft. Den Werken ist deshalb eine offene – oder vielmehr sich immer weiter öffnende – Struktur eigen, die sich an der Welt und derenGegebenheiten orientiert, doch jenseits der Kulissen der Sichtbarkeit und desVerstands operiert. Dave Bopps Malerei gründet somit in einer sich stetig expandierenden Bildsphäre, die die Vorstellung überwindet und ungreifbar bleibt.So ist es wohl kaum ein Zufall, dass ein weiterer Ausschnitt aus Adnans Trauermarsch eine Situation beschreibt, die den Prozess der Wahrnehmung in Bopps eigenem Universum nur allzu passend erfasst:
«eine inkohärente Lichtwelle bewegte sich hinter den Wolken du gingst schwimmen in diesem weit entfernten Pool du gingst, um dich darin aufzulösen».
Marlene Bürgi