Dimitra Charamandas' Einzelausstellung in der Livie Gallery
Zähneknirschen und Tränen — das sind Reaktionen, die ich nachvollziehen kann, wenn ich über die feurige Zukunft unseres Planeten nachdenke, deren Vorboten heute den Himmel verdunkeln, von Griechenland bis Quebec, ganz in der Nähe, wo ich diesen Text schreibe. In Dimitra Charamandas' Installation Harvesting Tears, die auf den dies-jährigen Swiss Art Awards gezeigt wurde, hat die Künstlerin eine Leiste mit durchsichtigen Kügelchen angebracht, Fundstü-cke, deren Kraft aus einer Art semantischem Überschuss resultiert. Es handelt sich dabei um die kristallisierten Tropfen des Mastixbaums, der im Mittelmeerraum seit langem für medizinische und kulinarische Zwecke geschätzt wird. Das Wort Mastix stammt aus dem Griechischen masticháo, was so viel bedeutet wie „mit den Zähnen knirschen“. Das Harz wird durch Abschaben der Baumrinde gewonnen. Im Jahr 2012 wütete ein Waldbrand auf der Insel Chios, dem Ort des Hauptvorkommens von Mastix, und verbrannte rund 16‘000 Hektar Land, wobei viele Mastixhaine und Existenzen vernichtet wurden.
Gemeinsame Rituale, sei es zum Trauern oder zum Feiern, faszinieren Charamandas, die aus einer griechisch-schweizerischen Familie in Solothurn stammt, und ein Teil ihrer künstlerischen Praxis ist unter anderem die Zubereitung von gemeinsamen Mahlzeiten. In der Schweiz, ja im globalen Norden, gebe es relativ wenig Trauerrituale, sagt die Künstlerin. Ich kann nicht umhin, an die klinische Sichtweise der Trauer in „Etappen“ zu denken, von der Verleugnung bis zur Akzeptanz, die in den 1960er Jahren von der Zürcherin Elisabeth Kübler-Ross populär gemacht wurde. Kübler-Ross räumte später ein, dass diese Phasen nicht linear verlaufen und auch nicht von jedem erlebt werden, und dass sie auf viele Formen der Trauer zutreffen könnten. Psychologen verwenden heute Begriffe wie Ökoangst oder Klimatrauer, um das Gefühl des Verlusts zu beschreiben, das viele von uns erleben. In diesem Zusammenhang sollte „Ak-zeptanz“ nicht als Defätismus verstanden werden, sondern vielmehr als Voraussetzung für Anpassung, Widerstand und Transformation. Kein einziger Moment — oder kein einzelnes Kunstwerk — könnte alle „Stadien“ der Trauer ver-körpern. So findet Harvesting Tears seine Antwort in den anderen Werken der Künstlerin.
Staffage bezeichnet in der kunsthistorischen Terminologie die einer Landschaft zum Maßstab hinzugefügten — meist menschlichen — Nebenfiguren. In Charamandas' Gemälde Grounding Place, das ihre Mastix-Tränen begleitete, gab es weder Menschen noch Pflanzen oder Tiere, sondern die schiere, mehrdeutig skalierte Oberfläche einer Caldera, der Vertiefung im Zentrum eines eingestürzten Vulkans. In Keepers jedoch kehrt das Leben an den Rändern zurück — zwischen dem Wilden und dem Kultivierten, dem Verwilderten und dem Grünen. Einige der Blumen, die die Künstlerin malt, stehen im Mittelpunkt alter Volksweisheiten, während andere Gegenstand neuer Forschungen sind, die grösstenteils in Griechenland durchgeführt wurden, um durch industrielle Verschmutzung vergiftetes Land zu sanieren. James Bridle, ein Brite, der auf der griechischen Insel Aegina lebt, schreibt über diese „Hyperakkumu-latoren“, die Schwermetalle aus dem Boden ziehen und neues Leben entstehen lassen. Bridle betrachtet diese Pflanzen als eine Art natürli-che Technologie, eine nicht-menschliche Intelligenz, die der Mensch mitbeachten sollte. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob es sich bei diesen Maßnahmen — die an sich sehr elegant sind — lediglich um eine Abmilderung handelt, während wir auf die Selbstzerstörung zusteuern, oder ob sie von einem grundlegenderen Wandel begleitet werden. Für Charamandas ist dies nicht nur eine Frage der Technologie, sondern auch der Kultur. In Keepers finden wir beides.
— Robert Wiesenberger
Robert Wiesenberger ist Kurator für zeitgenössische Projekte am Clark Art Institute in Williamstown, USA.