Notizen aus dem Werk: Ich kann dich sehen, 2024 (9)
[…] Ich denke, Kunst zu machen, ist die Entscheidung von Sichtbarkeit, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob man es eine Entscheidung nennen kann. Diese drängt sich in meine Gedanken, Träume und nimmt sich ihren Platz in meinem Leben. Ich kann dich sehen ist das, was mich trifft, etwas, das sich in den Augen der Imagination verfängt. Es bleibt dort: störrisch, mühsam, angstvoll und voller Lust, geschaffen zu werden.
Es ist der Blick eines Liebenden – das Du bleibt trotz Vertrautheit und Nähe ein Geheimnis. Darin liegt die Anziehung und der Wunsch, in diese Ungewissheit eintauchen zu können. Liebe ist, Teil sein zu wollen vom Anderen. Damit meine ich nicht nur die romantische Liebe, sondern die Nähe zu etwas, dessen Anwesenheit und Wiederholung. Wenn ich mich an den Zustand des Erkennens erinnere, hat dies jeweils mit einer Art von Offenbarung zu tun. Als würde mich in dem Moment das Glück erreichen, und das absurde Gefühl, dass dies nur mir vorbehalten wäre. Dieser Moment verbindet sich mit dem Tag, dem Wetter, dem Geruch, dem Körper; gräbt sich als Erfahrung in die Erinnerung.
Ich muss nochmals einen Schritt zurückgehen, denn ich will wissen, warum ich für diese Ausstellung diesen Titel gewählt habe: ein monochromer Raum, ganz in Grau, geschwungen, sein Ende nicht sichtbar – ein gekrümmter Raum. Der innere Halbkreis, bedeckt mit raumhohen Vorhängen. Stille. Die einzelnen Konstellationen beleuchtet, ansonsten Dunkelheit. Als hätte sich eine kleine Gruppe von Schaustellern zusammengefunden, und jeder suchte sich seinen Lichtfleck. Tatsächlich wird die Beleuchtung ähnlich der Bedeutung eines Sockels, als wünschte ich mir den Ruf: «Schau mich an!» Das ist meine Intention: die Dramaturgie von vielen kleinen Szenen auf einer Bühne mit dem noch geschlossenen Vorhang.
Rehearsal (Hauptprobe)
Man kann dieses Spiel auch umdrehen. Ich weiß, dass Werke zurückschauen können. Es ist die Beziehung, die entsteht zwischen dem, der betrachtet, und dem, der angeschaut wird. Es ist die Beziehung zu den Dingen der Welt überhaupt. Wer sieht hier wen? Und ist es wichtig, von wem dieser Blick ausgeht?
I can see you bedeutet in der englischen Sprache auch: Ich erkenne dich! Für mich zielt diese Aussage auf einen Kern, auf etwas, das sich uns offenbart. Darin gibt es keine Logik, kein Richtig oder Falsch – es bleibt die Begegnung mit dem Anderen […]
Pascale Birchler