Die fotografischen Werke des Zuger Künstlers Lukas Hofmann mit Wohn- und Arbeitsort Berlin waren bisher vor allem im französischen Sprachgebiet ausgestellt. In der Kunsthalle Luzern zeigt der Künstler seine in sich geschlossenen Werkserie «Strassenbilder», die während den Jahren 2018 bis 2021 entstanden und nun – auch mit der gleichnamigen Buchpublikation von 2023 – abgeschlossen ist.
Die fotografischen Kompositionen fokussieren auf das Ungesehene des Alltags und des menschlichen Seins, ohne dabei konkrete Hinweise auf Örtlichkeiten, Zeitlichkeiten oder Persönlichkeiten zu geben. Mit grosser formeller, ästhetischer und technischer Präzision erzeugt Lukas Hoffmann minimalistische Bildaufnahmen aus einem intuitiven Moment heraus.
Lukas Hoffmanns Serie «Strassenbilder» ist konsequent in schwarz/weiss gehalten, wobei der Fotograf seine Grossbildkamera ohne Stativ aus freier Hand einsetzt. Der Fokus ist fest auf 80 Zentimeter eingestellt und massgebend für die Nähe zu seinen aufgenommen Motiven. Auf 13 cm x 18 cm grossen Planfilmen fotografiert der Künstler Passant:innen im öffentlichen Raum, wobei er fast ausschliesslich Rücken- und Seitenaufnahmen mit fragmentarischen Körperausschnitten wählt. Gesichtspartien und Totalen werden bewusst ausgeschlossen, nicht zuletzt, um zu vermeiden, dass die fotografierten Personen von ihrer Inszenierung erfahren. Diese Momentaufnahmen des Alltags sind geradezu antispektakulär, was grundsätzlich gegen die Tradition der «street photography» zielt, sich aber bei näherer Betrachtung als unscheinbar tiefgründig abhebt. Auf den grossformatigen Abzügen im Format 102 cm x 72 cm offenbart sich insbesondere in den Haar- und Hautpartien oder den stofflichen Strukturen der Kleidung ein enormer Detailreichtum. Die zufällige Dynamik einzelner Bilder wird zusätzlich durch einen altersbedingten Defekt der Fachkamera verstärkt. Hierbei erzeugten mehrere Löcher im Balgen bei längerem Warten der Auslöserbetätigung Streulicht im Inneren der Kamera, wodurch sich einzigartige helle Schleier übers Bildmotiv ziehen.
Die Monumentalität und der Detailreichtum der fragmentarischen Ausschnitte ermöglichen eine einzigartige Nähe in der Betrachtung. Damit geht auch Intimität einher, die jedoch im Widerspruch zu der Anonymität und Ortlosigkeit der Bilder steht. Durch die vorgeführte Nähe und Reduktion auf schwarz-weiss-Werte werden in der Betrachtung vielmehr die Dimensionen sinnlicher Wahrnehmung erweitert und die Erinnerung stimuliert. Dies scheint sich vor allem mit der Dynamik und Uneindeutigkeit der schleierhaften Blendmomente einiger Bilder zu decken. So wird die Einfühlung in die Beschaffenheiten textiler Stofflichkeiten, Hautpartien und Haare auch von Assoziationen getragen, die zu Gerüchen, Geschmäcken und Geräuschen, bei den Erscheinungen von Bewegungen, Silhouetten und Lichtstimmungen bis hin zum Phänomen des Déjà-vus führen.
Im Kabinett der Kunsthalle Luzern zeigt Lukas Hoffmann eine Installation mit drei Diaprojektionen. Hier werden fotografische Aufnahmen projiziert, die 2016 während eines Artist-in-Residence-Aufenthalts in New York entstanden sind. Die Werkgruppe «NYC Sidewalks» vereint eine Ansammlung formalästhetischer Bildaufnahmen von trivialen Situationen im öffentlichen Raum und unterscheidet sich zur Serie der «Strassenbilder» durch leuchtende Farbigkeit und die teilweise Absenz menschlicher Sujets. Mit Hilfe eines Shift-Objektivs, welches den Bildausschnitt im Bildkreis horizontal verschieben lässt, entstehen in «NYC Sidewalks» Diptychon-Fotografien, die als Anschlussbilder zeitliche Versatzstücke einer bestimmten ‘Szenerie’ repräsentieren. Innerhalb der Präsentations-weise generieren sich neuartige Zeit-Raum-Kompositionen, die jeweils ein Diptychon-Bild eines Aufnahmeortes mit demjenigen eines anderen Aufnahmeortes kombinieren. Dabei zeichnet sich gleichermassen die Divergenz des einzelnen Diptychons ab.
Auch in «NYC Sidewalks» bildet die Nähe zu den Motiven ein wesentliches Merkmal. Ansichten von Mauer- und Wandverläufen werden nur von wenigen Strassenfluchten oder grösseren Stadtansichten durchbrochen und eher durch Zäune sowie Trottoirs begrenzt. Ferne wird ausgeschlossen, wobei Nahes von unscheinbaren Orten durch Strukturen und Beschaffenheiten, Licht und Farbe zum Betrachtenden drängt. Eine Erweiterung dieser Begrenzung erreicht Lukas Hoffmann u.a. mit dem Einsatz seines beweglichen Objektivs und dessen subtilen horizontalen Verschiebung des Bildausschnitts. Dabei werden z.B. durch verschiedenen Bewegungen von Passat:innen zeitliche, aber auch räumliche Versatzstücke innerhalb des Bildes erschlossen. Übersteigert wird diese zeitlich-räumliche Erweiterung, wenn der Künstler unterschiedliche Aufnahmeorte zusammen-führt. In der Aufnahme und Fortführungen verschiedener Linien und Strukturen in seinen Bildkompositionen finden die unterschiedlichen Orte aneinander Halt. Diese völlig neuen Raumeindrücke werden übersteigert, wenn der Künstler z.B. Aufnahmen mit horizontaler Frontalität und diagonalen Fluchten kombiniert oder verschiedene Licht- und Farb-abstufungen gegenüberstellt.
Mit einem hohen Grad formalästhetischer Qualität ermöglicht uns Lukas Hoffmann anhand von trivialen, unauffälligen Motiven, die Bedeutung und das Verhältnis von Architektur und Natur, Ruhe und Bewegung, An- und Abwesenheit des Menschen zu reflektieren. Dabei schafft der Künstler Augenblicke der Entschleunigung, die uns für die Schönheit des Unscheinbaren in nächster Nähe sensibilisieren.