Ronja Römmelt beschäftigt sich in ihren performativen Arbeiten bisher mit körperlichen Kippmomenten: Wann wird Lächeln unerträglich, wann wird Kitzeln übergriffig, wann wird zwischenmenschliche Nähe bedrohlich? Diese Untersuchungen führt sie mit «Zellkörper» und «Venus» fort und rückt dabei das Schillern unserer Wahrnehmung zwischen «natürlichem» Körper und «sozialem» Geschlecht, zwischen dem Organischem und dem Anorganischem ins Zentrum. Das Adjektiv «schillernd» besitzt zwei Bedeutungen: Ein schillernder Gegenstand erscheint uns einerseits «in wechselnden Farben» und andererseits als «schwer durchschaubar». Wie greifen die künstlerischen Arbeiten dies auf?
Auf den ersten Blick lassen sich «Zellkörper» und «Venus» den Prinzipien des Organischen und des Anorganischen zuordnen. Die Bestimmung stammt aus dem 19. Jahrhundert, dabei stehen gerade Linien und Flächen für das Anorganische, während gekrümmte oder gewölbte Linien das Organische bezeichnen. Diese Einordnung geht einher mit einer Zuschreibung von organischen Linien als weiblich und natürlich, während anorganische Linien als männlich und intellektuell aufgefasst werden.
Die Arbeit «Venus» spielt mit den Vorstellungen des Anorganischen: In einer räumlichen Anordnung sind geometrische Linien und Formen zu sehen. Folgt man der physischen Handlungsanweisung und hält sich ein Auge zu, ergeben die Einzelteile der Installation das Venussymbol. Mit der Aufforderung zum wortwörtlichen Blickwechsel fügen sich die Fragmente visuell zu einem ganzen Körper. Damit kehrt die Künstlerin die männlich konnotierte kubistische Geste, den Körper in Einzelteile zu zerlegen, um.
Der Ursprung des Venussymbols ist umstritten. Während es heute umgangssprachlich den Handspiegel der Göttin Venus beschreibt, bezeichnet es in der Spätantike den Planeten Venus. Im 18. Jahrhundert erhält das Symbol durch den Naturforscher Carl von Linné Eingang in die biologische Klassifikation. Er verwendet es – gemeinsam mit dem Marssymbol – zur Einteilung von Pflanzen in die Kategorien männlich-weiblich. Mit dieser wissenschaftlichen Legitimierung kehrt das Venussymbol zurück in den Alltagsgebrauch. Diese schillernden Bedeutungsebenen schwingen bei «Venus» untergründig mit.
Die gewölbten Formen von «Zellkörper» wirken dagegen organisch. Es handelt sich um Lederhäute, die sich aufblähen, sich zurückziehen oder um Platz rangeln. Durch die rechteckige – und zugleich anorganische – Rahmung bleibt es ihnen jedoch verwehrt, in den Raum auszuufern. Dieses Bild der Zelle unterscheidet sich von den uns bekannten mikroskopischen Bildern, die Zellen als transparent und durchscheinend zeigen. Wie der Titel «Zellkörper» bereits vorwegnimmt, erhalten sie hier eine undurchschaubare Leiblichkeit. Die Undurchschaubarkeit bringt uns zurück zum Begriff des «Schillerns»: Die beiden Arbeiten zeigen das schillernde Wechselspiel auf, das sich zwischen den scheinbar klar abgegrenzten Konzepten des Organischen und des Anorganischen, zwischen «natürlichem» Körper und «sozialem» Geschlecht entspinnt und regen so zu einer Befragung unserer Wahrnehmung menschlicher Körper an.
(Text: Anna Schiestl)
Dank
Ein besonderer Dank gilt Dominik Baumann für die technische Mitarbeit an der künstlerischen Arbeit "Zellkörper" sowie Anna Schiestl für den Ausstellungstext.
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